Wann bin ich zu alt geworden?

Wann bin ich zu alt geworden?

Bild: istock/ mihailomilovanovic

Einige Zeit vor dem Lockdown überkam mich immer mal wieder das Gefühl, dass in meinem Leben etwas fehlt. Nicht, dass ich kein schönes Leben hatte, es war nur gefühlt frei von Abenteuern, von neuen Erfahrungen. Damit meine ich nicht den Besuch eines neuen Restaurants oder einer Bar, sondern wirklich etwas zu tun, was ich bis jetzt noch nicht oder schon seit Jahren nicht mehr getan hatte. Ich wollte mich wieder lebendiger fühlen.

Wirklich bewusst wurde es mir, als ich mit meinen Ladies bei einem Geburtstagsfrühstück saß und wir darüber sprachen, wann wir alle mal wieder für einen Tag, ggf. mit Übernachtung, nach Berlin reisen wollen. Einen Termin zu finden, gestaltete sich schwierig, also schlug ich vor, dass wir doch mal etwas anderes unternehmen könnten, statt uns immer nur zum Frühstück oder Abendessen zu treffen. Ich dachte dabei an das MS Dockville Festival in Wilhelmsburg. Von Hamburg aus wäre es für alle schnell zu erreichen und wenn es einen Notfall mit den Kids gäbe, wäre die Betroffene innerhalb von einer bis eineinhalb Stunden wieder zu Hause. Die mehrheitliche Reaktion auf meinen Vorschlag war sehr verhalten. Von allem, was dazu gesagt wurde, ist bei mir ein Satz hängen geblieben: „Also ich sehe mich im meinem Alter nicht mehr auf einem Festival.“

Diese Aussage hat mich sehr beschäftigt. Wann fängt es an, dass man für irgendetwas zu alt ist? Wer bestimmt, dass man für etwas zu alt ist? Wann ist das Alter ausschlaggebend für irgendwelche Aktivitäten? Solche und ähnliche Fragen schwirren bis heute immer wieder in meinem Kopf. Sie führten dazu, dass ich die letzten Jahre Revue passieren ließ und dabei feststellte, dass dieses „Ich bin zu alt für …“ schon lange Zeit unbewusst ganz schön präsent ist in meinem Kopf und in meinem Leben. Viele Dinge habe ich nicht mehr getan, weil ich sie nicht als altersgemäß empfand. Aber woher kommt denn überhaupt so ein Mindset? Hat es vielleicht etwas damit zu tun, dass man im Alter vorsichtiger, ängstlicher wird und dann solche Dinge wie freihändig Radfahren oder Handstand üben nicht mehr macht, weil man sich verletzen könnte? Werden einem solche Gedanken von außen suggeriert, weil es in der Gesellschaft eine unausgesprochene Übereinkunft gibt, wie Frauen, aber auch Männer, ihrem Alter entsprechend zu leben und sich zu verhalten haben? Die Vorstellung davon wird oft in den Medien, in der Werbung etc. widergespiegelt.

Besonders von Frauen 45+ wird dabei ein ganz klares Bild gezeichnet. Meist eingebunden ins Familienleben als Mutter, Ehefrau / Partnerin, Caretakerin, involviert in die Freizeitaktivitäten der Kinder. Sie kümmern sich um Eltern und Verwandte, halten das soziale Leben am Laufen, erledigen den Haushalt etc. Und dazu dann auch noch der Beruf, dem sie wohlmöglich nachgehen. Was wir aber selten sehen, sind Frauen, die etwas für sich alleine tun, die Selfcare praktizieren, die Abenteuer erleben und sich aus der Komfortzone heraus bewegen, die sich beruflich neu orientieren. Wo sind die Frauen, die alleine auf Reisen gehen, die das erste Mal Longboard fahren oder ein neues Musikinstrument lernen? Die ihr Leben auf den Kopf stellen oder sich auf Dinge rückbesinnen, die sie früher einmal gerne getan haben.

Wo sind die Frauen, die all das machen? Gibt es sie nicht? Sieht man sie nicht? Oder trauen sie sich einfach nicht? Wichtige Fragen, die wir uns als Frauen immer wieder stellen sollten, um unser eigenes Leben auf den Prüfstand zu stellen. Denn ich möchte mich nicht mehr zu alt fühlen, um z. B. wieder ein Rad schlagen zu können (dazu habe ich eine tolle Anleitung auf Instagram gefunden!) oder nach 30 Jahren wieder Kettenkarussell zu fahren. Ich bin auch nicht zu alt, um endlich das Splash! Festival zu besuchen, auch wenn ich dort zu den Ältesten gehören und anstatt im Zelt zu schlafen, ein Hotelzimmer buchen würde. *lol* Ich verstehe, wenn man als Frau sehr eingebunden ist, aber trotzdem ist es wichtig, sich seine Freiräume und Platz zu schaffen für etwas mehr Abenteuer und Magie im Alltag. Es muss ja nicht gleich ein zweiwöchiger Roadtrip mit dem Van sein. Aber wie wäre es z. B. im Auto bei heruntergelassener Scheibe ganz laut Musik zu hören und mitzusingen oder einfach einen Tag alleine in eine Stadt zu fahren, die man nicht kennt?

Frau ist nie zu alt dafür!