Es herrscht Stillstand. Und je länger dieser durch COVID-19 verursachte Ausnahmezustand anhält, desto größer wird der Frust innerhalb der Bevölkerung. Obwohl ich immer versucht habe, positiv gestimmt zu sein, spüre auch ich die Frustration. Meine Eltern habe ich seit über einem Jahr nicht mehr gesehen, da sie zu weit weg wohnen und ich angesichts der Situation keine sieben Stunden in der Bahn sitzen oder einen Flieger besteigen möchte. Zudem möchte ich sie nicht der Gefahr aussetzen, sich durch mich anstecken zu können. Sie gehören nun mal zu einer Risikogruppe und ihre Sicherheit steht für mich an oberster Stelle.
Beruflich hatte sich die erste Welle im März 2020 auch bei mir bemerkbar gemacht. Nicht nur aus Recherchegründen, sondern weil es mir einfach auch so viel Freude bereitet, habe ich immer gerne Restaurants und Bars besucht. Das ist seit Monaten nicht mehr möglich. Treffen mit anderen Menschen finden derzeit nur draußen statt und somit sind Einladungen zum Essen bei uns zu Hause auch seit langer Zeit hinfällig. Dabei lieben wir es so sehr, Gastgeber zu sein. Ich vermisse das Reisen, das Meer und meine Beautytreatments. Wann bekommen wir unseren Alltag zurück mit allem, was wir gerne tun?
Ich habe das Gefühl, und mit dieser Meinung stehe ich nicht alleine da, dass es noch Jahre dauert, bis ich geimpft werde. Nun bin ich aber von Natur aus ein lebensbejahender, wenn nicht sogar lebensliebender Mensch und kann mich auch an den kleinen Dingen im Leben erfreuen. Nach einem dieser Smalltalks, in dem es mal wieder fast nur um die coronabedingten Einschränkungen ging, habe ich mir etwas vorgenommen. Ich will künftig bewusst dagegen angehen, dass diese negative Stimmung von außen in mich eindringt und mich bedrückt.
D. h. nicht, dass ich alles um mich herum ausblenden und nicht sehen will, wie viele Menschen in unterschiedlicher Weise damit zu kämpfen haben. Sei es, dass die berufliche Existenz gefährdet ist oder gar nicht mehr existiert. Dass Kinder und Eltern mit dem Homeschooling an ihre Grenzen kommen und Ungleichheit und Benachteiligung durch die Pandemie nicht nur offensichtlicher, sondern zum Teil auch größer geworden sind. Dass es Versäumnisse in der Politik gab und gibt, wie z. B. im Gesundheitswesen, wenn es um die Hilfen für Menschen mit psychischen Erkrankungen geht. Unterstützung, die gerade in der jetzigen Situation so wichtig wäre. Ganz zu schweigen davon, dass täglich Menschen an dem Virus sterben oder mit den Folgen zu kämpfen haben, unsere Alten seit Monaten isoliert leben, oftmals ohne die notwendige Zuwendung von ihren Liebsten, und alleine sterben. Ich sehe das sehr genau und beschäftige mich damit.
Es gibt daneben aber auch noch meinen Blick, der nach innen gerichtet ist und der mir zeigt, wie dankbar ich für mein Leben sein darf und es auch sein möchte. Wie glücklich schätze ich mich, dass alle meine Liebsten gesund sind. Dass ich einen Partner an meiner Seite habe, mit dem ich jeden Morgen aufwache und abends einschlafe. Dass ich von zu Hause arbeiten kann und so die Möglichkeit habe, Kontakte auf das Minimum zu beschränken, so wie es mir guttut. Dass ich in einer schönen und günstigen Wohnung lebe, in einer sehr grünen Wohngegend mit einer fantastischen Hausgemeinschaft. Ich bin dankbar, dass meine Gesundheit immer besser wird und ich die Zeit und das Geld habe, mich intensiv darum zu kümmern. Wie dankbar bin ich, dass ich jederzeit vor die Haustür treten kann, um spazieren zu gehen. Ich bin dankbar, dass der Frühling kommt und meine Pflanzen endlich wieder mehr Licht bekommen. Ich bin dankbar, dass F. und ich diese Zeit bewusst nutzen, um unsere Ernährung nachhaltig umzustellen und jetzt gesünder und besser kochen als vor der Pandemie.
Ich bin dankbar für all die technischen Möglichkeiten, die es erlauben, dass ich mit meiner Familie und meinen Freunden verbunden bleibe. Meine Mom und ich skypen z. B. jeden Sonntag mindestens eine Stunde. Samstags schauen wir, jeder bei sich, den Flohmarkt auf SR1 und whatsappen währenddessen. Das ist ein nun unsere neue Tradition.
Es gibt so vieles, wofür ich dankbar bin! Manchmal muss man es sich, auch in schweren Zeiten wie diesen, wieder bewusst vor Augen führen. Das gelingt sehr gut, wenn man vor dem Einschlafen aufschreibt, wofür man an diesem Tag im Speziellen dankbar ist. Dafür habe ich immer einen Notizblock neben meinem Bett legen. Hast du darüber schon mal nachgedacht? Wofür bist du heute dankbar?