Breitschultrig. Muskulös. Frau!

Breitschultrig. Muskulös. Frau

Credit: iStock

Die diesjährige Olympiade, besonders die Rugbyspiele der Frauen, war ein Awakening bezüglich meiner eigenen Konstitution. Seit ich denken kann, war ich immer die mit dem breitesten Kreuz und dem kräftigsten Körperbau. Alles begann, als meine Mutter mich als Sechsjährige zum Ballett angemeldet hat, um meinem Hohlkreuz entgegenzuwirken. Ich fühlte mich inmitten der zierlichen Mädchen deplatziert, nicht dazugehörend. Meine Lehrerin hat mich das auch deutlich spüren lassen. Ich wurde immer in die hinterste Reihe verbannt und durfte nie vor der Klasse vortanzen. Bis auf das eine Mal. Da sagte sie zu mir: „Mit deinem Körperbau, der eher der eines Jungen ist, bist du nicht fürs Ballett geeignet, aber vielleicht für Jazzdance. Deshalb darfst du heute auch in der ersten Reihe mittanzen!“ Solche Aussagen von Erwachsenen sind unverantwortlich und zeigen, wie mächtig Worte sein können. Denn dieser Glaubenssatz „Zu breit, zu schwer, zu muskulös“ hat sich tief in meinem (Unter-) Bewusstsein verankert. Deshalb sollte man immer achtsam mit seinen Worten sein, besonders gegenüber Kindern und Jugendlichen. Ich habe trotzdem weiter Ballett getanzt, bis wir für fast zwei Jahre nach Kalifornien gezogen sind. Die nächste Ballettschule war 1,5 Stunden entfernt und ich habe stattdessen mit dem Cellospielen angefangen.

Ende der 3. Klasse hatte ich dann einen Entwicklungsschub, bekam große Brüste und war die Größte und Schnellste in der Klasse. Das führte bei den Bundesjugendspielen wiederholt zu unschönen Szenen, weil sich Lehrer*innen und Schüler*innen beschwerten, ich sei viel zu alt, zu stark und zu schnell im Vergleich zum Rest der Klasse (vor allem den Jungs) und sollte deshalb ausgeschlossen werden. Dass ich nach solchen Erlebnissen keine Lust mehr auf Sport hatte, liegt auf der Hand. Als Teenager habe ich es mit Leichtathletik probiert. Bei dieser Sportart fühlte ich mich eine Zeitlang tatsächlich wohl in meinem Körper, weil meine Konstitution perfekt für Kugelstoßen, Diskuswerfen u. ä. war. Danach folgten Badminton, Handball und Basketball. Und dann galt mein Interesse vorwiegend Jungs und Partys. Das Thema Sport war erst einmal für SEHR lange Zeit auf Eis gelegt. Bis ich als Beautyredakteurin für einen Artikel zu Gast im Lanserhof war. Dort habe ich Dr. Witasek kennengerlernt, der mir verdeutlich hat, dass ich eigentlich ein sehr sportlicher Typ bin, mich aber irgendetwas davon abhalte, das auch auszuleben. Und da war wieder der Glaubenssatz von damals: „Zu breit, zu schwer, zu muskulös“. Ich habe über sehr lange Zeit immer wieder Anläufe genommen und hatte auch tolle Erfolge, aber es kam nie so weit, dass der Sport zu einer Routine in meinem Leben wurde.

Bis ich mir das Ziel gesetzt habe, mit spätestens 50 Jahren surfen zu gehen. Ich habe mich im Fitnessstudio angemeldet und einen Trainingsplan ausgearbeitet, um die fitteste Version von mir selbst zu werden. Dann würde ich mich endlich in die Wellen stürzen. Gut, es kamen einige Verletzungen dazwischen, wie der Bandscheibenvorfall, und haben mich in meinem Plan etwas nach hinten geworfen. Zudem habe ich mich bei all dem Training nie richtig wohlgefühlt, weil ich so viele Frauen gesehen habe, die zwar trainiert, aber lean waren. Gepaart mit all den Social-Media-Eindrücken wollte ich tief im Inneren auch so „zierlich“ sein. Was natürlich utopisch war und unnötiger Druck und Stress, den ich mir da selbst gemacht habe.

Und dann kam Olympia! Frauenrugby zu schauen, war mein Befreiungsschlag. Endlich waren da auch Frauen mit breitem Kreuz, trainiert, kraftvoll, mit vielen Muskeln und aggressivem Kampfgeist. Besonders zwei Frauen haben mich inspiriert: die Neuseeländerin Portia Woodman-Wickliffe (Goldmedaillen-Gewinnerin) und Ilona Maher (Bronze mit dem US-Team). Ihren IG-Kanal solltet ihr unbedingt abonnieren. Nicht nur, weil sie so lebendig und lustig ist, sondern weil sie auch immer wieder Bodyshaming thematisiert und sich zur Wehr setzt. Als ein User ihr Video mit „Ich wette, diese Person hat einen BMI von 30“ kommentierte, konterte sie: „Ich habe einen BMI von 30, genauer gesagt 29,3, und gelte schon mein ganzes Leben lang als übergewichtig. Der BMI ist für Athlet:innen nicht wirklich hilfreich, weil er nur von der Größe und dem Gewicht ausgeht und was das ausmacht. Ich bin 1,70 Meter groß und wiege 200 Pfund (ca. 90 kg). Und ich habe ungefähr 170 Pfund (ca. 77 kg) an reiner Muskelmasse. Aber der BMI sagt nichts darüber aus, was ich auf dem Spielfeld leisten kann oder wie fit ich bin.“

Sie ist, wie Serena Williams, mein Spirit Animal. Seitdem gehe ich mit einem Hochgefühl und dem neuen Bewusstsein zum Gym, dass ich gut bin, so wie ich bin. Und ich feiere meinen Körper, das breite Kreuz, die Muskeln und meine neu erweckte Weiblichkeit.

Nichtsdestotrotz ist mir bewusst, dass wir als Gesellschaft noch einen sehr langen Weg vor uns haben, bis muskulöse, kraftvolle Frauenkörper als „normal“ betrachtet werden und ihnen deshalb nicht die Weiblichkeit abgesprochen wird, weil sie nicht dem „klassischen“ Schönheitsideal entsprechen und „ein Kreuz wie ein Mann“ haben. Ich freue mich schon auf den Tag, an dem es selbstverständlich ist, nicht nur trainierte „Gazellen“, sondern auch Gewichtheberinnen auf den Titelseiten von Magazinen zu sehen. Wenn diverse weibliche Körperformen einfach akzeptiert werden und z. B. beim Diskus-Finale nicht immer wieder voller Begeisterung darauf hingewiesen wird, wie grazil der Körper der Goldmedaillen-Gewinnerin Valarie Allman im Vergleich zu den anderen Athletinnen ist, weil sie aus dem Crossfit kommt. Und bis es soweit ist, ist mein Kreuz zum Glück breit genug, um all die Vorurteile mit Leichtigkeit tragen zu können.



Veröffentlicht am
21. August 2024



Schreibe einen Kommentar

Mit dem Absenden Ihres Kommentars erklären Sie sich mit unseren Datenschutzbestimmungen einverstanden.